Rede von Konstanze Breitebner bei der Gedenkverantstaltung am 15. Mai 2022 in Ried/Rdm.
Meine Damen und Herren, Sabine Schatz hat mich schon vor einigen Wochen gefragt, ob ich heute diese Gedenkrede halten wolle. Es ist mir eine Ehre … Ich habe mich damals sofort hingesetzt und einfach losgeschrieben.
Die heiße Wut, die ich da empfand, ist natürlich einem guten Zorn und auch einem Lächeln gewichen. Wie wichtig sich gewisse Politiker doch nehmen. Der Brustton der nicht existierenden Überzeugung tönt immer ein bisschen tiefer und heftiger, als die echte, wissende, ab einem bestimmten Alter weise Erkenntnis über sich selbst. Ich möchte diese vor Wochen begonnene Rede trotzdem halten und heute beenden, weil sich so Vieles ereignet hat seither, mein Grundgefühl und meine Sehnsucht aber immer noch die gleichen sind:
Endlich abschließen … Nicht mehr erzählen müssen von damals … nicht immer und immer wieder das Leid der Menschen damals nachfühlen müssen … sagen dürfen, es ist vorbei, es kommt nie wieder, wir wenden uns der Zukunft zu …
das hab ich mir gewünscht.
Als sie noch klein war, fragte ich mich: muss ich meiner Tochter noch erzählen, was der Holocaust war? Kann ich ihr nicht ersparen, die Bilder der gequälten Menschen vor sich zu sehen und zu ahnen, wie unmenschlich Menschen sein können? Muss ich ihr tatsächlich erzählen, dass vor ein paar Jahrzehnten, als ihre Urgoßeltern jung waren, Menschen andere Menschen einfach auf der Straße erschlagen haben?
Wie? sollte ich meiner Tochter den Holocaust zu erklären? Was ist ein KZ Mami? Warum gehst du dorthin und begrüßt internationale Delegationen in 30 verschiedenen Sprachen vor einem Steinsockel? Vor dem Sarkophag? Warum gibt es den Mauthausenschwur? Mami, was ist das alles?
Ich erklärte, dass die Unmenschlichkeit von einer schrägen, abstrusen Fratze zum Gesicht der Peiniger wurde, die viele Mitmenschen ermordeten. Und dass es möglich war, weil es in unserem Land Gesetze gab, die dieses Morden legitimierten. Ich erzählte, was ein gelber Stern symbolisiert, was Ehre und Treue in einem bestimmten Kontext hießen, was Mitläufer und Wegschauer waren; nämlich genau die Urgroßeltern meiner Tochter. Und wo das Morden passierte. Die Hügel rund um das ehemalige KZ Mauthausen sehen im frischen Maigrün während der Gedenkfeier jedes Jahr wieder so sanft und lieblich aus. Dieser Platz hier … ist schön. Die Orte lassen nicht erahnen, was hier geschah.
Diese Vergangenheit sollte vorbei sein dürfen, dachte ich.
In letzter Zeit habe ich aber den Impuls, mich schützend vor diese Vergangenheit zu stellen, damit nicht jeder, dem es gerade einfällt, irgendwas aus dieser Zeit hervorziehen und in falschen Zusammenhängen benützen kann.
Ein Politiker zum Beispiel, der gerade in Bedrängnis kommt, weil man ihm auf kleine oder große Schweinereien draufkommen könnte, dieser Volksvertreter, der das Volk offenbar längst vergessen hat und die dazugehörige Ehre, ein Amt im Dienst dieses Volkes auf Zeit übertragen bekommen zu haben, dieser Politiker zitierte Ereignisse unserer jüngsten Vergangenheit, einfach so.
Junge Menschen wie meine Tochter wissen ziemlich sicher nicht, was genau 1933 in Österreich passiert ist. Irgendwann hat sie es möglicher Weise im Geschichtsunterricht gehört. Aber es spielt keine Rolle in ihrer heutigen Wirklichkeit. Und dann lässt so dieser Politiker, dieser Präsident, einen Satz fallen, er könne die ihm übertragene Aufgabe nicht einfach niederlegen, weil „es“ dann ja wieder so wie 1933 sein könne! Das berühmte Zitat fiel mir dazu ein: „Lernen sie Geschichte“ Seien Sie verdammt nochmal genau mit dem, was damals passiert ist. Es endete in Morden und Vernichten von Menschen.
Ich musste auch nachfragen, aber: 1933 ging es in unserem Parlament eigentlich um einen Bagatellfall, um die Neubesetzung des Direktors der ÖBB, der Mann war Sozialist. Es stand 50 zu 50, woraufhin der dritte Nationalrats -Präsident sein Mandat zurücklegte, um mitstimmen zu können. Dadurch hätten die Sozialisten mit ihrem Kandidaten gewonnen. Daraufhin legte der zweite, konservative Nationalratspräsident aus dem nämlich Grund zurück und danach der Erste. Diese Patsituation nützte Bundeskanzler Dolfuss … und stellte die Weichen Richtung Diktatur … durch die Auflösung des Parlaments.
Die Männer dieser Generation zogen in den Krieg, freiwillig oder nicht, sie sind dort gestorben, sie wurden traumatisiert, sie sind verkrüppelt zurückge- kommen. Unsere Mütter und Großmütter durchlitten an der „Heimatfront“ so vieles und mussten mit den zerschossenen Männer wieder zusammen kommen. Zeitgleich und erschreckend perfekt organisiert, beging diese Generation das Unmenschlichste, das Europa meiner Meinung nach, jemals erlebt hat. Das systematische Ermorden von Menschen, den Holocaust.
Und deshalb darf niemand die Ereignisse 1933 im Zusammenhang mit dem aktuellen U – Ausschuss bringen. Halt, Stopp!
Zu behaupten, das demokratische Österreich, unsere Verfassung, unser Parlament, unsere friedliche Gesellschaft wären bedroht, wenn man sich im Vorsitz des U Ausschusses vertreten lässt – was möglich wär – ist liederlich.
Die Journalist: Innen fragten nicht nach einer Erklärung.
Da hatte der aktuelle Krieg gerade erst begonnen und man hörte auch: „Die Ukrainer sollten besser in ihrem Land bleiben und es verteidigen. Es gehe nicht an, dass die jetzt alle davonlaufen, also zu uns flüchten und hier aufgenommen werden wollen. Und dann: Was wäre aus Österreich geworden, wenn 1945 alle das Land verlassen hätten?
Halt Stop!
Zwischen 1938 und 1945 gehörte unser Land zum Kriegstreiber, zum Agressor! Der Führer hatte es heimgeholt ins Reich und war dafür von vielen Österreicher:Innen bejubelt worden. Österreich hieß Ostmark und die Soldaten mussten an Einmärschen, also am Angriffskrieg auf Nachbarländer teilnehmen und später Gegenschläge, militärische Gegenangriffe abwehren. Das darf man doch im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine überhaupt nicht in den Mund nehmen, geschweige denn, vergleichen!
Die russische Armee gehörte damals gemeinsam mit USA, Frankreich und England zu den Befreiern! Sie hatten die Invasoren – die deutsch österreichischen Truppen aus ihren Ländern wieder hinausgedrängt und überschritten deren Grenzen, um die angreifende Armee zu zerstören. Die Zivilbevölkerung, die Widerstandskämpferinnen, die PartisanInnen, die Insassen der Folterkammern, der Gefängnisse, der Arbeitslager und der KZs auf österreichischem Boden, warteten sehnlich auf diesen Einmarsch. Würde er ihnen doch das Überleben sichern und ihr Land von den Nazis befreien.
Sie alle sind nicht davongelaufen, weil sie die Befreiung wollten und als solche erlebt haben.
Davongelaufen sind 1945 nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes … zumeist Hitlers Schergen! die Aufseher, Lagerleiter, Ärzte und Manager des KZ Mauthausen. Die haben das Land verlassen und sich in Sicherheit gebracht und zum Beispiel blutjunge, wiener Feuerwehrmänner zum Dienst im KZ einfach in die SS aufgenommen.
Ich bemerkte, dass ich mich verrannt hatte. Ich habe den Verdacht, dass die Worte des Herrn Präsidenten wohl einfach so dahin geplappert worden sein müssen. In ihnen eine stringente, geschichtswissenschaftliche Begründung zu suchen, konnte nur scheitern. Der hat einfach mit ein paar knalligen Sagern um sich geworfen, damit nur ja niemand bemerkt, dass er den Vorsitz des U – Auschusses nicht abgegebn will. Schließlich geht es um Vorwürfe gegen Parteikollegen und ihn selbst, es geht darum, an der Macht zu bleiben und weiterhin Posten und Pfründe verteilen zu können, was, wie wir in ebendiesem U – Ausschuss erfahren, auch intensiv und schamlos getan wurden.
Das ist bei liederlichen Politikern so, ohne Scham, Anstand und Menschlichkeit.
Aber ich kann nicht hinnehmen, dass unsere österreichische Geschichte, die uns ohnehin sosehr belastet, jetzt auch noch ungenau und falsch zittiert wird.
Ich bin entsetzt, gelbe Sterne an Oberarmen zu sehen, wenn Menschen in den vergangenen Monaten auf der Wiener Ringstrasse demonstrierten. Gut, demonstrieren ist ihr demokratisches Recht, das müssen sie dürfen. Aber doch nicht mit dem Zeichen, das den jüdischen Mitbürgern damals aufgezwungen wurde, um sie kenntlich zu machen, um sie aus der Gesellschaft auszuschließen, um sie letztendlich für die Vernichtung zu markieren.
Ich wünschte, ich könnte mit diesen DemonstrantInnen, die das Symbol benützen, einmal durch die Gedenkstätte gehen. Wir müssten gar nicht reden, sie müssten sich keine Zahlen anhören, keine Namen lesen, nicht einmal stehen bleiben müssten sie. Weil ich aus eigener Erfahrung weiß: jeder, der durch diese Gedenkstätte geht, spürt – auch heute noch – das Grauen von damals. Dafür sind die Gebäude damals errichtet worden. Sie sollten angsteinflößend sein, sie sollten die mit gelbem Stern am Ärmel Gekennzeichneten sofort, schon von Weitem spüren lassen: hier hast du keine Chance, hier bist du nichts wert, hier wirst du vernichtet und bis dahin musst du leiden, unentrinnbar.
Ich würde diesen DemonstrantInnen gerne die Geschichte der Mühlviertler Hasenjagd erzählen und berichten, was in jener eiskalten Februarnacht 1945 passiert ist.
Wie, um alles in der Welt, kommen Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, darauf, Schilder mit der Aufschrift: Wie sind die neuen Juden! Wissen Sie, dass Jüdinnen und Juden ebendiese Straße, die Ringstrasse, damals schrubben mussten? Manchmal mit bloßen Händen? Der Staat entzog Jüdinnen und Juden alle Rechte, sie durften nicht in die Schule gehen, ihre Berufe nicht ausüben, nicht politisch aktiv sein, schließlich durften sie dieses ihr Heimatland nicht mehr verlassen und mussten für ihre Deportation ins KZ und ihre Ermordung dort noch selber bezahlen.
Heute bietet der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit und das kostenlos, sich auf ein gefährliches Virus testen zu lassen und jeder kann sich gratis impfen lassen. Die sogenannten Maßnahmen bezeichne ich als Angebot, sich nach jetzigem Stand der Wissenschaft bestmöglich zu schützen und die Mitmenschen, denen man täglich begegnet, nebstbei gesagt auch.
Was geht in diesen Leuten vor?
Ich habe auf diese, mit ohnmächtiger Wut gestellten Fragen, auch jetzt keine Antwort. Form und Inhalt dürfen nicht getrennt werden, denke ich. Und das subjektive Gefühl, zurückgelassen und benachteiligt worden zu sein, ist ein schlechter Ratgeber. Jeder muss sich fragen und auch Rechenschaft ablegen, wenn schon nicht andren gegenüber so doch vor sich selbst: was mache ich hier! Ich marschiere hinter Identitären und verurteilten Neonazis her, hau mir die Biere rein, brülle Freiheit und lasse mich von dem Zwerglein K aufhetzen?
Verzeihen Sie alle meine Heftigkeit, eingedenk der Menschen, die bei der mühlviertler Hasenjagd einfach erschlagen wurden und die wir nie vergessen dürfen, ist mir in Vorbereitung der Rede einfach die Wut dazwischen gekommen. Jetzt haben wir Krieg in Europa und darüber bin ich verzweifelt.
Dass auch in diesem Zusammenhang der Begriff „Nazi“ fiel – und ich möchte nicht auf das Interview des russischen Außenmisnisters oder die Rede seines Vorgesetzten eingehen – das ist erschreckend und tieftraurig. Ich sehe darin den Bruch einer Übereinkunft, die es in Europa nach dem zweiten Weltkrieg bis jetzt gegeben hat: wir waren uns einig, dass der Nazisimus nie wieder eine Chance zur Entfaltung haben dürfe.
Mit der Begründung, die Ukraine werde von Nazis beherrscht und müsste „entnazifiziert“ wurde der Kampf gegen den Faschismus in sein Gegenteil pervertiert und die Legitimation geschaffen, selbst zu Methoden zu greifen, die für mich faschistisch sind … mir wird Angst und bang. Was in Nazideutschland, im Holocaust geschah, ist mit dem aktuellen Krieg nicht vergleichbar und darf keinesfalls gleichgesetzt werden. Instinktiv sage ich: „Nur die Nazis waren Nazis.“ Und das bedeutet, dass ich nicht abschließen kann. Was wirklich passiert ist, muss immer noch und wieder genau berichtet werden, damit die heutigen Angriffskrieger die Einzigen bleiben, die sich der Begriffe des dritten Reiches so schamlos bedienen.
Und ich möchte hinzufügen, dass ich so wütend wurde, weil es in unserem Land ja redliche Politiker:Innen gibt, die ihren Knochenjob so gut wie irgend möglich machen und sich nicht in das schick gewordene Geschwurbel und die Lügen einfügen, die uns die letzten Jahre so schamlos zugemutet wurden. Diese PolitikerInnen haben gar keine Zeit für grausliche chats und sie wissen, dass ihre Macht eine von uns geliehene ist. Die kennen unsere Geschichte und zitieren sie respektvoll. Das beruhigt mich doch. Gerade, weil nicht weit von uns Krieg herrscht.
In diesem Sinne
Die Waffen nieder,
vergesst mir die Menschlichkeit nicht,
lernen wir Geschichte
und „niemals vergessen“.
Die Waffen nieder,
der Krieg muss sofort enden. Danke.