In der Sendung „Klartext“ vom 25. April 2018 warf der Vizekanzler Strache Christian Kern vor, „Brunnen zu vergiften“. Warum ist das problematisch oder zumindest bemerkenswert? Strache hat mit dieser Formulierung auf die antisemitische Erzählung von „brunnenvergiftenden Juden“ angespielt. Die Zuschreibung stammt aus dem Zeitalter der Pestepidemien. Antijüdische Pogrome waren die Folge.
Die Historikerin Elisabeth Klamper erklärt im Jahrbuch des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands:
„Der Begriff „Brunnenvergifter“ wird auch heute noch in Zusammenhang mit Personen verwendet, die andere vorsätzlich schädigen und leitet sich von dem mittelalterlichen Vorwurf ab, die Juden würden als Verbündete des Satans die Christen u. a. dadurch zu vernichten trachten, dass sie deren Brunnen vergiften.“ (Jahrbuch 2008 des DÖW, S. 41)
Es ist schändlich für einen Vizekanzler, derartige Zuschreibungen zu verwenden, um zu provozieren. Eine politische Debatte muss ohne antisemitische Stereotype und Beleidigungen auskommen. Das ist das Mindeste, das man sich von einem Regierungspolitiker erwarten kann. Wenn Herr Strache – noch dazu im Gedenkjahr 2018 – nicht ohne solche auskommt, ist das ein Armutszeugnis.
Und was sagt der Koalitionspartner? Ich gehe davon aus, dass Kurz – wie bisher zu allen „Einzelfällen“ der FPÖ seit Regierungsantritt – schweigen wird, anstatt Kritik zu äußern.
Literatur und Links zum Thema:
Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Rowohlt, Reinbek 1991
Benedikt Herber: Tödliche Gerüchte. Brunnenverfitung, Süddeutsche Zeitung 2017, online verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitismus-toedliche-geruechte-1.3552423-2 (online abgerufen am 26. April 2018)
Julia Schäfer: Der antisemitische Stereotyp. Über die Tradition des visuellen „Judenbildes“ in der deutschsprachigen Propaganda, Zukunft braucht Erinnerung, online verfügbar unter: http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/der-antisemitische-stereotyp/ (online abgerufen am 26. April 2018)
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